Luca de Marchi ist 22 Jahre alt und hat unzählige Pläne in seinem Leben. Der erste: Die Wichtigkeit der menschlichen Beziehungen erfolgreich übermitteln zu können und sie im Alltag zu fördern. Luca de Marchi arbeitet im Kommunikationsbüro des Vereins Voluntarius Onlus und kümmert sich um die Sensibilisierung der öffentlichen Meinung. Seit seinem 19. Lebensjahr koordiniert er zusammen mit einer Arbeitsgruppe das Projekt „L’essenziale è invisibile agli occhi“. Dieses Projekt, das sich an Jugendliche und Erwachsene richtet, entstand aus den Bildern der Ausstellung „100 Gemälde, die auf Dokumente warten“ und hat zum Ziel, das Bewusstsein auf das Leben von Asylbewerbern zu richten.
Luca, wie kam es zum Projekt „100 Gemälde, die auf Dokumente warten“?
Das Projekt ist im Jahr 2011 geboren, während den Arabischen Frühling, eine historische Begebenheit, die zu erhöhter Forderung von internationalem Schutz auf dem Territorium führte. In kurzer Zeit verdreifachte sich die Bewohneranzahl des Flüchtlingsheimes bei der Ex Gorio Kaserne in Bozen. Um diesen Menschen zu helfen, hat ein Freiwilliger des Vereins Volontarius Onlus eine Künstlerwerkstatt ins Leben gerufen. Dank dieser Initiative konnten die Flüchtlinge des Aufnahmezentrums ihre Gedanken, Emotionen, Erinnerungen und Träume ausdrücken. Es ist unglaublich, wie man durch Kunst das, was in Worten viel schwieriger mittzuteilen ist, ausdrücken kann. Die Werkstatt war vor allem wegen zwei Aspekten wichtig: Erstens konnten die Teilnehmer sich selbst ausdrücken und zweitens hat diese Erfahrung die Aufarbeitung des Erlebten erleichtert, ein nützlicher Aspekt in Bezug auf die Asylbewerbungspolitik. Um Asyl zu erhalten, ist es notwendig, die eigene Geschichte einer fremden Kommission zu erzählen. Sich Fremden zu öffnen ist unheimlich schwierig, vor allem für jene, die traumatische Erfahrungen gemacht haben.
Was erzählen diese Gemälde?
Diese Gemälde erzählen vom Heimatland, der Kultur und der Religion der Autoren. Sie erzählen auch von Personen: der Familie, Freunde und Bekannte. Sie erzählen ihr Inneres: Die Freude, Traurigkeit, Zweifel. Sie erzählen von ihrer Reise und ihren Träumen.
Aus diesen Gemälden scheint auch viel Positivität durch…
Ja, und genau diese Positivität braucht unsere Gesellschaft am meisten. Die Autoren der Gemälde haben sehr viele Farben verwendet. Einige dieser Gemälde drücken viel Freude und Energie aus. Für mich ist dies der Ausdruck von jener Kraft und Mut, die diese Personen haben. Mittels dieser Gemälde wollen wir Hoffnung übermitteln, ohne die Schwierigkeiten zu verbergen. Ich glaube aber, dass wir zu wenig tun. Wir müssen diese Thematik weiter vertiefen, wir benötigen mehr Dialog. Dabei handelt es sich um eine anspruchsvolle Aktivität, die wir üblicherweise lieber nicht tun, weil wir an bequeme Dinge gewohnt sind. Jedoch glaube ich, dass es dringend notwendig ist zu vertiefen, um zu verstehen.
Kann die Kunst eine Möglichkeit sein, um die Autoren der Gemälde mit der einheimischen Gesellschaft in den Dialog zu bringen?
Die Kunst ist sicher eine Art von Kommunikation. Dieses Projekt ist innerhalb eines Aufnahmezentrums für Flüchtlinge entstanden, muss aber in der Gesellschaft ankommen. Wir haben es nötig, die Geschichten dieser Personen kennenzulernen, um sie zu verstehen und ein Bewusstsein für diese Thematik zu schaffen. Die Werke wurden in der Freien Universität Bozen ausgestellt. Dann wurden 10 davon ausgewählt, um das Projekt „L’essenziale è invisibile agli occhi“ zu entwickeln. Dieses Projekt hat zum Vorsatz, die Bürger zu sensibilisieren. Mit diesen Gemälden diskutieren wir nämlich mit Studenten und Erwachsenen das Thema Migration. Wir vertiefen gemeinsam dieses Thema auch dank dem Dialog mit einem der Autoren der Gemälde, der, mit viel Mut, seine Geschichte hunderten von Personen erzählt und so zum Bewusstsein und zur Sensibilisierung beiträgt.
Was ist für dich Erinnerung?
In der Schule lernen wir Geschichte. Wir lernen von hunderten von Kriegen, aber wegen wie vielen leiden wir? Wegen keinem. Wir können die Geschichte über dem Holocaust begreifen, aber nur wenn wir die Konzentrationslager besichtigen, wenn wir die Qual selbst erleben, schaffen wir Erinnerung. Ich glaube, dass es wichtig ist, die historischen Ereignisse zu kennen, diese vor allem aber in erster Person zu erleben. Das können wir tun, indem wir den Erzählungen und Aussagen, jener Menschen lauschen, die die Geschichte selbst erlebt haben. Dabei handelt es sich um einen Prozess, der für mich den Höhepunkt des Erinnerungsschaffens bildet. Genau das, was wir mit dem Projekt „L’essenziale è invisibile agli occhi“ machen wollen. Wir wollen in der Erinnerung bohren, so viele Empfindungen wie möglich wecken, bis sich die Personen nicht nur an die Geschichte erinnern, sondern sie fühlen.
Was ist für dich die Seele?
Die Seele liegt in unserer Natürlichkeit/Einfachheit/Schlichtheit und Wahrheit. Denn in der Natürlichkeit/Einfachheit/Schlichtheit zeigt sich wer wir wirklich sind. Nicht in den großen Dingen. Es wäre schön, wenn wir alle die Sensibilität und Energie hätten, uns zum Ziel und zur Freude des Lebens zu machen, in die Seelen der anderen zu schauen. Auf diese Weise könnten wir unzählige Gemeinsamkeiten finden, die wir normalerweise nicht entdecken würden. In die Seele eines anderen zu schauen, bedeutet für mich nicht nur zu reden und zu fragen, sondern zusammen zu sein. Die Seele ist etwas, das wir mit allen anderen gemeinsam haben, auch mit jenen Menschen, die sich in diesem Moment in unseren Städten niederlassen. Sehr viele Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die unsere Seele bereichern können. Deswegen ist die Seele für mich alles, sie ist unser Sein.