Gibt es Menschen, die im Schatten unserer Gesellschaft leben? Wo liegt die Grenze zwischen schwarz und weiß? Diese Fragen haben wir Thomas Marciano gestellt, Autor des Kurzfilmes “Blind Spots”.
Thomas, wann ist deine Passion für das Filmemachen entstanden?
Mit acht Jahren habe ich mich unterhalten mit Power Point Diashows aus Fotos zu gestalten. Mir gefiel dabei, die passende Hintergrundmusik auszusuchen und mit der Dauer der Übergänge zu experimentieren. Später habe ich begonnen nach einer Optimierung zu suchen. Auf dem Computer meiner Familie habe ich das Programm Windows Movie Maker entdeckt. Auch wenn das jetzt lächerlich klingen mag, für den achtjährigen Thomas hatte dies eine enorme Wirkung: Ich begann die Welt des Films zu entdecken und nach der Übergangshase eröffnete sich mir ein völlig neues Universum!
War das die Zeit, in der deine Liebe zum Film entstanden ist?
Ja, diese ersten Versuche haben mir klargemacht, dass ich genau das in meinem Leben machen will. Ich habe herausgefunden, dass ich mich durch Videos am besten ausdrücken kann. Fast die ganze Technik, die man dazu benötigt, habe ich mir selbst beigebracht. Das Besuchen der Oberschule mit Kunstrichtung hat mir dabei sehr geholfen. Viel habe ich auch durch Beobachten gelernt. Das Beobachten war fundamental für mich!
Reden wir über “Blind Spots”. Woher kam die Idee zu diesem Video?
Eines Tages kontaktierte mich die Alexander Langer Stiftung, mit der ich schon während meiner Schulzeit im Pascoli Gymnasium zusammengearbeitet habe. Ich wurde gefragt, ob ich nicht Lust hätte an einem Projekt teilzunehmen, das sich mit der Thematik der Identität und den Grenzen beschäftigte.
Nach dem theoretischen Teil hast du dich sofort in die Verwirklichung des Videos gestürzt?
Ja, genau. Zusammen mit Adelina Perlaska habe ich mich ganz auf das Endprodukt konzentriert. Unterstütz wurden wir von Davide Grotta, Ex Schüler der Filmschule für Dokumentarfilm, Fernsehen und Neuen Medien “ZeLIG”, der uns viele Nachmittage lang bei der Arbeit half. Es war nicht einfach. Themen wie Identität und Grenzen auszudrücken, ist gar nicht leicht. Ich muss aber sagen, dass die Gruppendynamik sehr dabei geholfen hat, dieses Projekt zu verwirklichen. Wir alle haben uns fleißig an der Arbeit beteiligt.
Beginnen wir beim Titel. Was sind diese “Blind Spots”?
Nach vielen und langen Überlegungen haben wir beschlossen, uns auf die Zonen am Rande der Gesellschaft, also die "Blind Spots" in der Gesellschaft, die zu wenig beleuchtet werden, zu konzentrieren.
Sind diese Schattenzonen, über die du gesprochen hast, die schwarzen Figuren in deinem Video?
Sie könnten es sein. Die Figuren sind im Schatten, weil sie in irgendeiner Weise vom Zuschauer mit Licht erfüllt werden sollen. Jedes Mal wenn wir etwas sehen, das wir nicht kennen, machen wir uns darüber Gedanken, haben Vorurteile. Aufgrund unsere Eindrücke beurteilen wir etwas, von dem wir manchmal gar keine Ahnung haben. Es ist nicht gesagt, dass unsere Eindrücke richtig sind. Dass jemand einem Schatten keine Bedeutung zuordnen kann, kann mit dem Licht, das den Schatten umgibt, zusammenhängen. Wenn man, wie im Video, einen Gepard in der Nähe eines Schattens sieht, erweckt das sofort Assoziationen. Diese können richtig sein, oder auch nicht. Im Video spielten wir viel mit dem Kontrast zwischen Licht und Schatten. Wo liegt die Grenze zwischen schwarz und weiß? Eine der Figuren im Schatten beantwortet diese Frage. Licht und Schatten arbeiten zusammen, obwohl sie Gegensätze sind. Ohne Schatten gäbe es kein Licht. Und ohne Licht gäbe es keinen Schatten. Und das macht aus dem Schatten weder etwas Böses, noch aus dem Licht etwas Gutes. Die zwei Gegensätze gehören zusammen. Vor allem in der Kunst ist das Schwarze die Zusammensetzung aus allen Farben und hat somit viel auszudrücken und auszusagen. Wir leben in einem Zeichentrickfilm, wo alles von einer schwarzen Linie umgeben ist. Zwischen dem Schwarzen und dem Weißen gibt es, auch wenn wir es nicht sehen, dieses grau, das erlaubt von einem Farbton zum anderen überzugehen. Das Video strebt auch ein bisschen danach, dies zu ergreifen.
Wie lautet die Botschaft, die du mit diesem Video vermitteln willst?
Ich bin der Überzeugung, dass wenn man ein Werk einem Publikum präsentiert, es dem Publikum gehört. Jeder interpretiert es anders. Es wäre aber eine große Genugtuung, wenn ich wüsste, dass die Zuschauer sich nicht mit der bloßen Erscheinung zufriedengeben. Wir dürfen uns nicht darauf beschränken einen Schatten lediglich als Schatten wahrzunehmen, sondern für etwas das darüber hinausgeht. Als ein Zusammenspiel von Farben und nicht nur als das Fehlen von Licht.
Was ist für dich Erinnerung?
Ich glaube, dass die Erinnerung etwas sehr subjektives ist. Die Erinnerung wird dann wichtig, wenn sie nicht nur als solche wahrgenommen wird. Die Erinnerungen der Vergangenheit helfen dir deine Gegenwart zu verändern, damit du sie besser ergreifst und verstehst. Wenn es einem gelingt die Erinnerung so zu überliefern, dass man Personen bewegt, dann wird die Erinnerung zu einer persönlichen Sache. Sie wird ein Teil von dir, weil du sie verinnerlichst. Meiner Meinung nach ist die Erinnerung wie ein Rückspiegel, der dich auf deinem Lebensweg begleitet: Es wird dir überlassen, ob du dich ihm anvertraust, um die Hindernisse oder die Schwierigkeiten denen du begegnest, hinter dich zu lassen.
Was ist für dich die Seele?
Ich verbinde die Seele besonders mit dem Instinkt und den Gefühlen. Ein Video besteht aus vielen Einzelbildern, die, aneinandergereiht und in einer bestimmten Geschwindigkeit abgespielt, eine Handlung, eine Bewegung darstellen sollen. Ein Video ist nichts anderes als eine Zusammensetzung von Pixeln, die Farbe und Lichtstärke ändern. Es handelt sich dabei um etwas sehr technisches und abstraktes. Es ist aber einfach nur Licht, das das Auge erreicht. Nichts anderes. Ich glaube, dass die Seele eines Videos von dem Betrachter erweckt wird, weil er das, was er sieht mit seiner Vorstellungskraft und seiner Seele verbindet. Die Leistung des Regisseurs liegt darin, die richtige Form und Farbe zu finden, jene Aufnahme zu wählen, die am nächsten beim Zuschauer liegt, oder bei ihm selbst. Wenn es aber niemanden geben würde, der das Video anschaut, gäbe es nichts, existiere das Video nicht.