Lisa Guerra, ehemalige Schülerin des italienischen Gymnasiums Giovanni Pascoli in Bozen, ist die Protagonistin des ersten Interviews der Plattform ZeitRoom. Mithilfe der Fotos, die bei der Besichtigung des aufgelassenen Aluminiumwerkes Alumix entstanden sind und den Erinnerungen ihres Großvaters, der in der Fabrik arbeitete, wird uns Lisa die Geschichte dieses Werkes und dessen Mitarbeiter erzählen.
Hallo Lisa, als du noch das Gymnasium besucht hast, hat du an der Initiative “Raccontare il lavoro“ teilgenommen. Worum handelt es sich dabei?
Diese interdisziplinäre Initiative wurde vom Italienischprofessor des Gymnasiums Pascoli, Giovanni Accardo, ins Leben gerufen. Sein Ziel war es, den Schülern die Möglichkeit zu geben, das Thema Arbeitswelt zu vertiefen. Die teilnehmenden Klassen haben beschlossen, verschiedene Typen von Arbeit, wie z. B. die Arbeit in einer Druckerei, einer Bar oder im Bahnbetrieb, zu dokumentieren. Die einzelnen Gruppen konnten die Kunstart, mit der sie die Arbeit dokumentieren wollten, frei wählen. Meine Klasse hat sich für eine Reportage in Wort und Bild über die ehemalige Fabrik Alumix in Bozen entschieden.
Was hat euch dazu bewegt gerade die Fabrik Ex-Alumix als Thema zu wählen?
Mich selbst verbindet viel mit diesem Ort. Mein Opa hat sein ganzes Leben in der Fabrik gearbeitet. Als Elektriker kümmerte er sich um die elektrische Anlage. Dort hat er auch meine Oma kennengelernt, sie arbeitete in der fabrikeigenen Mensa.
Wie seid ihr an euer Vorhaben herangegangen?
In diesem Projekt steckte viel Arbeit. Es war nicht einfach alles zu organisieren. Zuerst haben wir uns selbst über den Ort, die Fabrik und deren Geschichten informiert. Um die Fabrik zu besichtigen, mussten wir eine Sondererlaubnis einholen. Vor Ort haben wir herausgefunden, dass die Häuser in der Umgebung eigens für die Angestellten gebaut wurden. Die einzelnen Wohnhäuser wurden sogar jeweils verschiedenen Arbeitergruppen zugeteilt. Es gab z. B. Häuser eigens für die Arbeiter und eigens für die Büroangestellten. Zudem unterschieden sich die Wohnblöcke architektonisch, wahrscheinlich um die Hierarchie unter den Angestellten zu betonen. Während die Häuser der einfachen Arbeiter sehr schlicht gehalten wurden, waren die der angeseheneren Angestellten eleganter. Meine Mutter wuchs in einem Haus auf, das nur von einfachen Arbeitern bewohnt wurde. Sie hat mir erzählt, dass sie mit den Kindern der anderen Wohnblöcke nicht spielte. Sie konnte bzw. durfte nicht mit Kindern von Büroangestellten spielen. Das stimmte mich traurig.
Wie habt ihr die Informationen gesammelt?
Ein Arbeitskollege meines Opas, der 30 Jahre lang im Aluminiumwerk gearbeitet hat, hat sich bereit erklärt, uns das Fabrikgelände zu zeigen und dessen Geschichte zu erzählen. Weil das Werk leer steht, erklärte uns der ehemaliger (senza r) Arbeiter Renato Onomini, auch mithilfe von Lageplänen, wo jeweils die elektrischen Öfen, Maschine und Turbinen standen und welche Arbeitsschritte in welchen Räumen ausgeführt wurden. Er klärte uns auch über die Arbeitsbedingungen der Arbeiter auf. Die Fabrik war kein sicherer und gesunder Arbeitsplatz, viele verwendete Materialien waren giftig.
Wie konnten die Arbeiter nur in solchen Bedingungen arbeiten? Der Lärm, die Verschmutzung, der Rauch, der Sicherheitsmangel. Es musste sehr hart gewesen sein dort zu arbeiten. Diese Arbeiter wussten, was Arbeit bedeutete.
Natürlich weiß ich auch viel aus den Erzählungen meines Opas. Ich habe alle seine alten Fotoalben aufbewahrt.
Was hast du gefühlt, als du in der Fabrik warst?
Es war sehr interessant mit Herrn Onomoni zu sprechen, er ist ein langjähriger Freund meiner Familie. Zu sehen wo mein Opa gearbeitet hat war sehr aufregend. Leider verstarb er einige Jahre bevor dieses Projekt zustande kam und ich konnte mit ihm nicht darüber reden. Ich weiß, dass es ihm gefallen hätte. Ihm lag viel an diesem Ort. Immerhin hat er dort mehr als 40 Jahre gearbeitet, fast sein ganzes Leben lang. Sein Leben war die Alumix. Das gleiche galt für meine Oma.
Hast du dir bildlich vorgestellt, wie es früher gewesen sein könnte?
Die Atmosphäre, die in der Fabrik herrscht, ist surreal und still. Dennoch konnte ich die Geräusche hören, die früher in diesem Werk hallten. Während Herr Onomoni von früher erzählte, liefen vor meinem inneren Auge Bilder ab, von Leitungen, Maschinen und den Menschen, die in diesem Werk arbeiteten. Ich habe mir meine eigene Alumix erdacht, auch wenn ich weiß, dass die Fabrik, wie sie wirklich war, sich stark von meiner Vorstellung unterscheidet.
Wieso habt ihr euch für Fotos in schwarz-weiß entschieden?
Die Fotos wurden analog geschossen. Wir haben zudem beschlossen, die Fotos zu drucken, damit man sie anfassen und so besser ihren Wert begreifen kann. Wir haben sie in der Dunkelkammer der Schule entwickelt. Es gibt einen großen Unterschied zwischen analogen und digitalen Fotos. Es ist ein ganz anderes Gefühl mit Fotopapier zu arbeiten und die eigenen Fotos zu entwickeln, als Fotos auf einem USB Stick auszudrucken.
Was ist für dich Erinnerung?
Wenn es das Fabrikgelände nicht mehr geben sollte, werden diese Fotografien eine entscheidende Rolle für die Erinnerung spielen. Es ist schön, um die Arbeit und das Leben meines Opas und seiner Arbeitskollegen Bescheid zu wissen. Diese Erinnerung hat einen großen Wert. Opas Fotoalben werde ich nie wegwerfen. Meine Erinnerung an ihn wurde durch diese Fotos ergänzt und aufgewertet. Wenn ich jetzt seine Alben durchblättere, nachdem ich die Fabrik besichtigt habe und mehr darüber weiß, sehe ich die Fotos mit anderen Augen. Nach diesem Projekt und nachdem ich mit Opas Freunden und Kollegen sprechen durfte, ist meine Verbindung zu ihm stärker geworden. Die Fotos helfen die Erinnerung wachzuhalten.
Was ist für dich Seele?
In Zukunft, wann es die Fabrik nicht mehr geben sollte und neue Generationen neugebaute Häuser bewohnen werden, wird die Seele der Alumix und ihrer Arbeiter langsam verschwinden. Es wird immer schwieriger werden sich daran zu erinnern, wie es früher war. Langsam wird sich alles ändern. Sicherlich werden unsere Fotografien nur ein sehr vereinfachtes und vages Bild davon vermitteln, wie es wirklich war. Sie werden nicht die gleichen Gefühle rüberbringen, die ich erlebt habe. In Zukunft wird es immer schwieriger, sich an diese Geschichte zu erinnern. Aber die Kunst, die Fotografie kann uns helfen zu erinnern, oder versucht es zumindest.
Wieso ist es wichtig, sich zu erinnern, Erinnerung zu schaffen. Was möchtest du mit diesen Fotos vermitteln?
Ich glaube, dass die Leute dazu neigen zu vergessen. Sie interessieren sich oft nicht dafür. Fragst du jemanden, der in der Kaiserau wohnt, danach, würde er antworten, dass um der Alumix nichts war, nur die Arbeiterhäuser. Für mich ist es wichtig, dass an die Arbeit und Mühen der vergangenen Generationen erinnert wird und dass diese Zone, dieses Viertel am Leben gehalten wird. Heute ist dort ein neues, ganz anderes Viertel entstanden. Was hätte wohl mein Opa davon gehalten? Zu seiner Zeit wäre es unvorstellbar gewesen. Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass die heutigen Bewohner dieses Viertels und der Arbeiterhäuser Bescheid wissen, wer vor ihnen dort gelebt hat. Es ist bedeutend die Geschichte eines Ortes zu kennen, zu wissen wieso die Häuser einen bestimmten architektonischen Stil haben, wozu dieses Gebäude diente und welchen Wert es für die Stadt Bozen hatte, aber vor allem für seine Arbeiter.